Mittwoch, 5 September 2018 : Kommentar Hl. Bernhard

Jede Seele, die Gott sucht, soll wissen, dass sie schon von ihm überholt worden ist, dass er sie zuerst gesucht hat […] „Nächtelang habe ich den gesucht, den meine Herz liebt“ (vgl. Hld 3,1). Die Seele sucht das [Fleisch gewordene] Wort, doch es ist das Wort, das sie zuerst gesucht hat […] Sich selbst überlassen, wäre unsere Seele nur noch ein Hauch, der sich im Nichts auflöst und nicht mehr zurückkehrt. Hört die Klagen und Bitten jener an, die umherirrt und ihre Straße verloren hat: „Ich bin umhergeirrt wie ein verlorenes Schaf. Suche deinen Knecht!“ (Ps 118(119),176). Oh Mensch, du möchtest zurückkommen, doch würde das einzig an dir hängen, warum erbittest du dann Hilfe? […] Es ist offensichtlich, dass unsere Seele zurückkehren möchte, doch nicht kann; sie ist nur ein verirrter Hauch, der von sich aus niemals zurückkommt […] Doch wie kommt sie dazu, zurückkehren zu wollen? Weil das Wort sie schon besucht hat und nach ihr gesucht hat. Diese Suche war nicht vergeblich, denn sie hat den Wunsch angestachelt, ohne den keine Rückkehr möglich ist. Doch es genügt nicht, einmal gesucht zu werden. Die Seele ist zu erschöpft und die Schwierigkeiten der Rückkehr sind zu groß […] Das Wollen ist bei mir vorhanden“, sagt der hl. Paulus, „aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen“ (Röm 7,18). Was erbittet also die Seele im Psalm, den ich zitiert habe? Nichts anderes, als gesucht zu werden. Denn sie würde nicht suchen, wäre sie keine Gesuchte, und sie würde nicht wieder suchen, hätte man genügend nach ihr gesucht.

Zuletzt geändert: 4 September 2018