Der hl. Bernhard sagt in der Erklärung des Hohenliedes: Die heilige Seele ist nicht bloß himmlisch wegen des Ursprungs, sondern kann auch wegen der Ähnlichkeit selbst ein Himmel genannt werden, weil ihr Wandel im Himmel ist. Deshalb sagt die Schrift: „Die Seele des Gerechten ist der Wohnsitz der Weisheit“ (vgl. Spr 12,23). Und: „Der Himmel ist mein Sitz“ (Jes 66,1). Wer aber weiß, dass Gott ein Geist ist, der wird ihm auch einen geistigen Wohnsitz zuschreiben. In dieser Anschauung bestärkt mich zumeist jene Verheißung: „Zu ihm [das heißt zu dem heiligen Menschen] werden wir kommen und Wohnung bei ihm nehmen“ (Joh 14,23). Auch glaube ich, dass der Prophet keinen andern Himmel gemeint hat mit den Worten: „Du aber, o Lobpreis Israels, wohnst in dem Heiligen“ (Ps 21,4). Und der Apostel sagt, Christus wohne durch den Glauben in unseren Herzen (Eph 3,17). Ich aber seufzte von fern zu jenen Seligen auf, von denen es heißt: „Ich werde in ihnen wohnen und in ihnen wandeln“ (2 Kor 6,16). O wie groß muss die Ausdehnung der Seele sein, wie groß auch ihr Vorzug an Verdiensten, wenn sie würdig erfunden wird, die göttliche Macht in sich aufzunehmen, und fähig, sie zu fassen, die auch Räume und Gänge genug besitzt für das Werk der Majestät! Sie ist emporgewachsen zu einem heiligen Tempel im Herrn, gewachsen nach dem Maß der Liebe, welche die Größe der Seele ist. Die heilige Seele ist sonach ein Himmel, der seine Sonne hat, und diese ist die Erkenntnis, seinen Mond, der ist der Glaube, und seine Sterne, die Tugenden; oder auch: Die Sonne ist die Gerechtigkeit oder der Eifer der glühenden Liebe und der Mond die Enthaltsamkeit. Kein Wunder, wenn der Herr Jesus einen solchen Himmel gern bewohnt! Denn von diesem hat er nicht, wie von den Übrigen, nur gesprochen und sie wurden, sondern er hat ihn erkämpft und erkauft durch seinen Tod. Darum sprach er, als er nach der Arbeit sein Verlangen erfüllt sah: „Hier ist meine Ruhe auf ewig, hier will ich wohnen“ (Ps 131,14).