Es steht geschrieben: „Auf wem soll ich ruhen, wenn nicht auf dem, der sanftmütig und demütig ist und der meine Worte fürchtet?“ (vgl. Jes 66,2 LXX). Daraus geht klar hervor, dass das Reich Gottes des Vaters den Demütigen und Sanftmütigen gehört. Es heißt ja: „Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land besitzen“ (Mt 5,5 Vulg.). […] Das „Land“ ist der feste und gänzlich unveränderliche Zustand und die Macht, die durch die Schönheit und Rechtschaffenheit der Sanftmütigen hervorgerufen werden, denn dieses Land ist immer beim Herrn, es trägt eine unvergängliche Freude in sich, hat das von Anbeginn bereitete Reich in Besitz genommen und ist des Himmels – seines Ortes und seiner Ordnungen – würdig gemacht worden. Wie ein Land, das seinen Platz in der Mitte des Universums hat, liegt der Grund für die Tugend darin, dass der sanftmütige Mensch in der Mitte zwischen Lob und Verleumdung in gleichmütiger Haltung verharrt: weder durch Lob aufgebläht noch durch Verleumdungen betrübt. Denn nachdem die Vernunft das Verlangen nach jenen Dingen, von denen sie naturgemäß geprägt ist, zurückgewiesen hat, spürt sie deren bedrängende Angriffe nicht mehr: Sie ruht sich von diesem ruhelosen Treiben aus und hat die ganze Kraft der Seele in den Hafen der göttlichen Freiheit geführt, jener unbelasteten Freiheit, die der Herr seinen Jüngern vermitteln wollte. Er sagte: „Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele“ (Mt 11,29). „Ruhe“ nennt er die Macht des göttlichen Königreichs, jene Macht, die in denen, die dessen würdig sind, eine von aller Knechtschaft befreite Souveränität entstehen lässt. Wenn nun die unzerstörbare Macht des Königreichs in seinem reinen Zustand den Demütigen und Sanftmütigen gegeben wird, wer wäre dann so lieblos und ohne jedes Verlangen nach göttlichen Gütern, dass er nicht bis zum Äußersten nach Demut und Sanftmut streben wollte, um, soweit es dem Menschen möglich ist, zu einer Ausprägung des Reiches Gottes zu werden, indem er das in sich trägt, was ihm durch die Gnade eine geistliche Gestalt verleiht, die der Gestalt Christi ähnlich ist, der natürlich wahrhaft und wesentlich der große König ist?