Freitag, 23 Oktober 2020 : Kommentar Hl. Johannes Paul II.

Ist es nicht vielleicht ein „Zeichen der Zeit“, dass man heute in der Welt trotz der weitreichenden Säkularisierungsprozesse ein verbreitetes Bedürfnis nach Spiritualität verzeichnet, das größtenteils eben in einem erneuerten Gebetsbedürfnis zum Ausdruck kommt? Auch die anderen Religionen, die nunmehr in den alten Christianisierungsgebieten weit verbreitet sind, bieten ihre eigenen Antworten auf dieses Bedürfnis an und tun dies manchmal mit gewinnenden Methoden. Da uns die Gnade gegeben ist, an Christus zu glauben, den Offenbarer des Vaters und Retter der Welt, haben wir die Pflicht zu zeigen, in welche Tiefe die Beziehung zu ihm zu führen vermag. Die große mystische Tradition der Kirche im Osten wie im Westen hat diesbezüglich viel zu sagen. Sie zeigt, wie das Gebet Fortschritte machen kann. Als wahrer und eigentlicher Dialog der Liebe kann er die menschliche Person ganz zum Besitz des göttlichen Geliebten machen, auf den Anstoß des Heiligen Geistes hin bewegt und als Kind Gottes dem Herzen des Vaters überlassen. Dann macht man die lebendige Erfahrung der Verheißung Christi: „Wer mich liebt, wird von meinem himmlischen Vater geliebt werden, und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren“ (Joh 14,21). […] Ja, liebe Schwestern und Brüder, unsere christlichen Gemeinden müssen echte „Schulen“ des Gebets werden, wo die Begegnung mit Christus nicht nur im Flehen um Hilfe Ausdruck findet, sondern auch in Danksagung, Lob, Anbetung, Betrachtung, Zuhören, Leidenschaft der Gefühle bis hin zu einer richtigen „Liebschaft“ des Herzens. Ein intensives Gebet also, das jedoch nicht von der historischen Aufgabe ablenkt: Denn während es auf Grund seiner Natur das Herz der Gottesliebe öffnet, öffnet es dieses auch der Liebe zu den Brüdern und befähigt sie, die Geschichte nach Gottes Plan aufzubauen.

Zuletzt geändert: 22 October 2020