Donnerstag, 22 Juli 2021 : Kommentar Hl. Bernhard

Nur der Gehörsinn kann die Wahrheit erfassen, denn er allein hört das Wort. […] „Rühre mich nicht an“ (vgl. Joh 20,17), sagt der Herr, das heißt: Lass davon ab, deinen trügerischen Sinnen zu vertrauen, stütze dich auf meine Worte, gewöhne dich an den Glauben! Der Glaube kann nicht irren, er erfasst die unsichtbaren Dinge und ist nicht der Unzulänglichkeit der Sinne unterworfen. Er überschreitet sogar die Beschränktheit der menschlichen Vernunft, die Gesetzmäßigkeiten der Natur, die Grenzen der Erfahrbarkeit. Warum willst du von deinen Augen lernen, was sie nicht wissen können? Und warum strebt deine Hand danach, zu ertasten, was sie niemals fassen kann? Was Hand und Augen über mich kundtun, ist sehr wenig. Allein dem Glauben steht es zu, sich über mich zu äußern, ohne meine Erhabenheit zu schmälern. Lerne, mit größerer Gewissheit zu glauben und mit größerem Vertrauen dem Folge zu leisten, was der Glaube dir sagt. „Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen“ (vgl. Joh 20,17). Wie sollte oder könnte er sich denn berühren lassen, wenn er aufgestiegen ist?! – Ja, zweifellos: Er kann berührt werden, aber nur mit dem Herzen, nicht mit den Händen; mit der Sehnsucht, nicht mit den Augen; mit dem Glauben, nicht mit den Sinnen. „Warum“, sagt er, „versuchst du mich jetzt zu berühren […]? Erinnerst du dich nicht daran, dass, als ich noch sterblich war, die Augen meiner Jünger die Herrlichkeit meines verklärten Leibes nicht ertragen konnten, während er doch noch sterblich war? Ich erweise dir jetzt noch die Gunst, dass du mich in meiner Knechtsgestalt (vgl. Phil 2,7) sehen kannst, doch meine Herrlichkeit entzieht mich dir von nun an. […] Halte also dein Urteil zurück […], überlass dem Glauben die Erhellung eines so großen Geheimnisses. […] Um würdig zu sein, mich zu berühren, ist es erforderlich, dass du mich betrachtest, wie ich zur Rechten meines Vaters sitze (vgl. Mk 16,19; Ps 110(109),1): nicht mehr in meinem erniedrigten Zustand, sondern in meiner Verherrlichung. Es ist immer noch derselbe Leib, aber in einer anderen Erscheinung. Warum willst du mich in meiner ‚Hässlichkeit‘ berühren? Warte, bis du mich in meiner Schönheit berühren kannst.“

Zuletzt geändert: 22 July 2021