Samstag, 30 Oktober 2021 : Kommentar Sel. Maria-Eugen vom Kinde Jesus

Die übernatürliche Kontemplation ist ein unverdientes Geschenk der göttlichen Barmherzigkeit. Nur Gott kann sie nämlich durch die Gaben des Heiligen Geistes hervorbringen, indem er den Glauben in seiner Ausübung vervollkommnet. […] Allein die Demut vermag es, die Gaben der göttlichen Barmherzigkeit auf sich herabzuziehen, denn Gott widersteht den Stolzen und schenkt den Demütigen seine Gnade. Will einer zur Kontemplation gelangen, nützt ihm eine demütige Haltung mehr als die heftigsten Anstrengungen. Diese Haltung der Demut besteht vor allem darin, dass wir „wie arme Bedürftige vor einem großen und reichen Herrscher stehen“ (vgl. Teresa von Avila: Die Seelenburg, IV,3,6), dass wir uns den bescheidenen Formen des aktiven Gebets hingeben und dort in geduldigem und friedvollem Bemühen warten, bis Gott uns zum passiven Gebet erhebt: „Wenn du zu einer Hochzeit eingeladen bist“, spricht unser Herr, „such dir nicht den Ehrenplatz aus. […] Setz dich lieber, wenn du hinkommst, auf den untersten Platz; dann wird der Gastgeber zu dir kommen und sagen: Mein Freund, rück weiter hinauf! Das wird für dich eine Ehre sein vor allen anderen Gästen. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk 14,8–11). Das Gleichnis aus dem Evangelium lässt sich buchstäblich auf das Gebetsleben anwenden: Wollen wir verdienen, zur Kontemplation erhoben zu werden, müssen wir uns zuerst demütig auf den letzten Platz unter den anderen geistlichen Menschen setzen. Auf diesem letzten Platz ist es gut, die besseren und schnelleren Mittel, um zur vollkommenen Vereinigung zu gelangen, zu ersehnen; doch sollen wir uns vor jeder überheblichen Anstrengung hüten, sie uns selbst verschaffen zu wollen. […] Solcherart war das vollkommene Gebet der Jungfrau Maria: Sie war ganz und gar erleuchtet und entflammt vom göttlichen Feuer, doch ihr friedvoller und glühender Glaube schien nichts zu wissen von den Schätzen, die sie besaß, um immer tiefer in den leuchtenden Schatten des Heiligen Geistes einzutauchen, der sie umhüllte und durchdrang.

Zuletzt geändert: 30 October 2021