Samstag, 5 Februar 2022 : Kommentar Hl. Bernhard

Wenn du alles, was dein Leben und deine Weisheit ausmacht, im Tun verausgabst und nichts für Besinnung und Betrachtung übrig lässt, soll ich dich dafür loben? Nein, dafür lobe ich dich nicht! Und ich denke, es wird sich auch niemand finden, der das tun würde, wenn er dieses Wort Salomos vernommen hat: „Wer wenig Arbeit hat, wird weise werden“ (vgl. Sir 38,24). Gewiss muss doch der Tat die Besinnung vorausgehen. Außerdem, wenn du allen alles sein willst, nach dem Beispiel dessen, der allen alles wurde, dann lobe ich deine Menschlichkeit, aber nur unter der Bedingung, dass sie vollständig und ganz ist. Wie könnte sie das aber sein, wenn du dich selbst von ihr ausschließt? Auch du bist ein Mensch. Damit also deine Menschlichkeit vollständig sei, musst auch du miteingeschlossen sein in diese Offenheit deines Herzens, die du allen bereithältst. Was nützt es dir sonst, wie der Herr sagte, „die ganze Welt zu gewinnen, wenn du dich selbst dabei verlierst?“ (vgl. Lk 9,25). Da du also das Gut aller bist, so sei du selbst einer von denen, die es besitzen. Warum solltest du der Einzige sein, dem diese Gunst vorenthalten wird? Wie lange noch wird dein Geist bei anderen aufhalten, ohne zu dir zurückzukehren? Wie lange noch wirst du es versäumen, dich selbst unter all denen, die daherkommen, zu empfangen? Du stellst dich in den Dienst der Weisen und Unwissenden, und nur dir selbst solltest du dich verweigern? […] Ja, deine Wasser sollen sich über die Plätze ergießen, damit Menschen und Vieh ihren Durst stillen können; gib auch den Kamelen von Abrahams Knecht zu trinken. Doch unter all diesen trinke auch du von dem Wasser, dass aus deinem Brunnen hervorströmt. […] Denk also daran – ich sage nicht immer, ich sage nicht einmal oft, aber wenigstens von Zeit zu Zeit – dich deiner selbst anzunehmen. Unter vielen anderen, oder auch nach vielen anderen: Diene auch dir selbst!

Zuletzt geändert: 5 February 2022