Dienstag, 22. März : Johannes Cassianus

„Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“ – O unaussprechliche Güte Gottes! Er gibt uns damit nicht nur ein Modell, wie wir beten sollen, er stellt nicht nur die Lebensregel auf, nach der wir in seinen Augen Gefallen finden können; diese Formel, die er uns lehrt und von der wir nach seinem Gebot beim Beten beständig Gebrauch machen sollen, stellt selbst eine Mahnung dar, mit der er geradezu zwangsläufig die Wurzeln des Zornes und der Traurigkeit aus uns herausreißt. Damit nicht genug: Er gibt uns die Gelegenheit und macht es uns leicht, ihn durch dieses Gebet zu einem nachsichtigen und barmherzigen Urteil über uns zu bewegen; er gibt uns gewissermaßen die Macht, selbst den Urteilsspruch, der uns erwartet, zu mildern und ihn durch das Beispiel unserer eigenen Nachsicht zur Vergebung zu verpflichten, wenn wir zu ihm sagen: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben haben.“ Kraft dieses Gebetes wird jener die Verzeihung seiner Sünden mit Zuversicht erbitten, der sich seinen Schuldnern gegenüber vergebungsbereit gezeigt hat. […] Wollen wir mit Milde gerichtet werden, dann lasst uns auch selbst denen gnädig sein, die uns Unrecht getan haben. Es wird uns in dem Maß vergeben werden, wie wir denen vergeben, die uns Böses getan haben, worin auch immer ihre Bosheit bestanden haben mag. Viele zittern bei diesem Gedanken, und wenn in der Kirche die Gemeinde mit einer Stimme das Vaterunser betet, lassen sie diese Worte vorübergehen, ohne sie selbst auszusprechen, weil sie befürchten, sich mit ihrem eigenen Mund zu verurteilen, anstatt sich zu entschuldigen. Sie merken nicht, dass dies eitle Spitzfindigkeiten sind, mit denen sie sich vergeblich vor den Augen des Hohen Richters zu verhüllen suchen, der denen, die zu ihm beten, im Voraus zeigen wollte, wie sie gerichtet werden. Weil er nicht will, dass wir ihn für streng und unerbittlich halten, hat er uns die Richtschnur für seine Urteile gegeben, damit wir unsere Brüder, wenn sie uns Unrecht getan haben, so richten, wie wir wünschen, von ihm gerichtet zu werden.

Zuletzt geändert: 22 March 2022