Freitag, 2. September : Hl. Bernhard von Clairvaux

Von allen Regungen, Empfindungen und Neigungen der Seele ist es die Liebe allein, die dem Geschöpf ermöglicht, seinem Schöpfer zu antworten, wenn auch nicht von gleich zu gleich, so doch wenigstens von ähnlich zu ähnlich. […] Die Liebe des Bräutigams, oder vielmehr der Bräutigam, der die Liebe ist, verlangt nur gegenseitige Liebe und Treue. Es muss also der Braut möglich sein, die Liebe zu erwidern. Wie sollte sie auch nicht lieben, da sie doch Braut ist und zwar die Braut der Liebe? Wie sollte die Liebe nicht geliebt werden? Die Braut hat also recht, wenn sie auf jede andere Zuneigung verzichtet, um sich ganz der einen Liebe hinzugeben, da es doch ihre Bestimmung ist, die Liebe mit Gegenliebe zu erwidern. Doch selbst wenn die Braut ganz und gar in Liebe zerflösse – was wäre das im Vergleich zu dem Strom der ewigen Liebe, der aus der Quelle selbst entspringt. Die Flut entströmt nicht in gleicher Fülle der Liebenden wie der Liebe, der Seele wie dem Wort, der Braut wie dem Bräutigam, dem Geschöpf wie dem Schöpfer. Die Fülle, die der Quelle entströmt, ist eine andere als die, mit der jemand kommt, um zu trinken. […] Sollte dann also das Seufzen der Braut, ihre Liebesglut, ihre vertrauensvolle Erwartung – sollte das alles vergeblich sein, weil sie sich im Wettlauf nicht messen kann mit dem Helden (vgl. Ps 19(18),6), nicht an Süße mit dem Honig, an Sanftheit mit dem Lamm, an Reinheit mit der Lilie, an Helligkeit mit der Sonne und in der Liebe mit dem, der die Liebe ist? – Nein! Denn wenn es auch wahr ist, dass das Geschöpf in dem Maße, in dem es dem Schöpfer unterlegen ist, weniger liebt als dieser, so kann es ihn doch mit seinem ganzen Sein lieben, und wo etwas ganz ist, fehlt nichts. […] Das ist die reine und selbstlose Liebe, die zarteste Liebe, ebenso friedlich wie aufrichtig, gegenseitig, innig, stark; eine Liebe, die die beiden Liebenden nicht in einem Fleisch, sondern in einem Geist vereinigt, so dass sie nicht mehr zwei sondern eins sind, gemäß dem Pauluswort: „Wer sich […] an den Herrn bindet, ist ein Geist mit ihm“ (1 Kor 6,17).

Zuletzt geändert: 2 September 2022