Donnerstag, 20. Oktober : Hl. Ambrosius

„Meint ihr, dass ich gekommen bin, auf der Erde Frieden zu geben? Nein, sage ich euch, sondern Entzweiung; denn von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein; drei werden mit zwei und zwei mit dreien uneins sein […]“ (Lk 12,51–52). Wenn schon fast an allen Stellen der Evangelien der geistige Sinn seine Wirkung äußern soll, hat doch namentlich an der vorliegenden der Gedankeninhalt durch den geistigen, höheren Sinn eine Milderung zu erfahren, dass nicht die Härte der einfachen Auslegung jemandem zum Anstoß werde. […] Wie kann Christus sagen: „Meinen Frieden gebe ich euch, meinen Frieden hinterlasse ich euch“ (Joh 14,27), wenn er gekommen ist, die Bande des Blutes zu zerreißen und die Eltern von den Kindern und die Kinder von den Eltern zu trennen? Wie soll der „verflucht sein, der den Vater nicht ehrt“ (vgl. Dtn 27,16), nachdem er nur einer religiösen Pflicht nachkommt, wenn er ihn im Stich lässt? Doch wenn wir beachten wollten, dass zuerst die Sache der Religion, in zweiter Reihe die Sache der Pietät kommt, dürften wir auch diese Frage für gelöst betrachten. Das Menschliche muss dem Göttlichen nachgestellt werden; denn wenn man schon den Eltern Liebe und Gehorsam erweisen muss, um wieviel mehr dem Urheber der Eltern, dem man seine Eltern selbst zu verdanken hat? […] Es heißt nicht: man muss auf die Kinder verzichten, sondern: man muss Gott allem vorziehen. So liest man auch in einer anderen Schrift: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert“ (Mt 10,37). Das Verbot lautet nicht: du darfst die Eltern nicht lieben, sondern: du darfst sie Gott nicht vorziehen. Der natürliche Kindersegen ist eine Wohltat des Herrn, niemand aber darf die Wohltat, die er empfangen, mehr lieben als Gott, von welchem er die Wohltat empfangen hat, die er wahrt.

Zuletzt geändert: 20 October 2022