Sonntag, 23. Oktober : Hl. Johannes Chrysostomus

Ein Pharisäer und ein Zöllner gingen zum Tempel hinauf, um zu beten. Der Pharisäer begann, all seine guten Eigenschaften aufzuzählen und sprach: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort.“ – Du Elender, du wagst es, über die ganze Welt zu urteilen? Warum machst du deinen Nächsten so nieder? Musst du auch noch diesen Zöllner verurteilen; die Welt genügt dir wohl nicht? Du hast alle Menschen angeklagt, alle ohne Ausnahme: „Ich bin nicht wie die anderen Menschen […] oder auch wie dieser Zöllner dort; ich faste zweimal in der Woche und gebe den zehnten Teil meines ganzen Einkommens.“ Wie viel Selbstgefälligkeit steckt in diesen Worten! Du Unglücklicher! […] Der Zöllner hatte diese Worte sehr wohl gehört. Er hätte nun etwa so entgegnen können: „Wer bist du denn, dass du es wagst, so über mich zu lästern? Woher kennst du mein Leben? Du hast nie in meiner Umgebung gelebt, du gehörst nicht zu meinen Vertrauten. Warum legst du einen solchen Hochmut an den Tag? Übrigens, wer kann denn bezeugen, dass du tatsächlich Gutes getan hast? Warum lobst du dich selbst? Was bringt dich dazu, dich derart zu rühmen?“ Aber der Zöllner tat nichts dergleichen – im Gegenteil –, er warf sich nieder und sagte: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Und weil er sich demütig zeigte, wurde er gerechtfertigt. Der Pharisäer verließ den Tempel ohne jede Vergebung, während der Zöllner mit einem durch die wiedergewonnene Gerechtigkeit erneuerten Herzen hinausging. […] Doch das war kaum Demut, sofern man darunter die Selbsterniedrigung eines Vornehmen versteht. Im Falle des Zöllners handelte es sich nicht um Demut in diesem Sinn, sondern um schlichte Aufrichtigkeit, denn er sagte die Wahrheit.

Zuletzt geändert: 23 October 2022