Da ist […] der Pharisäer, ein Mensch, überzeugt von seiner Wichtigkeit, von sich selbst ganz eingenommen; sein „Ich“ klingt aus jedem seiner Worte und drückt seiner Haltung den Stempel auf. […] Der Pharisäer hat das „doppelte Herz“ (Ps 11,3), von dem der Psalmist spricht. Seine Verachtung des Zöllners zeigt, dass er sich weit besser dünkt als dieser, und so behält er in Wirklichkeit sich selbst die Ehre vor, die er scheinbar Gott gibt.
Er erbittet nichts von Gott, weil er glaubt, nichts notwendig zu haben; er genügt sich selbst und legt Gott seine Handlungsweise nur zur Belobigung vor. […] Im Grunde ist dieser Mensch wirklich überzeugt, dass all seine Vollkommenheit von ihm selbst kommt. […]
Betrachten wir nun die zweite Gestalt dieses Gleichnisses, den Zöllner! Wie handelt er? Er hält sich im Hintergrund, er wagt nicht die Augen zu erheben, weil er sich so armselig vorkommt. Glaubt er etwa, sich vor Gott auf irgendeinen Vorzug berufen zu können? Nein, er ist sich bewusst, dass er nur seine Sünden zu bringen hat […] Er vertraut nur auf die göttliche Barmherzigkeit, erwartet nichts, erhofft nichts als nur von ihr. All sein Vertrauen, all sein Hoffen setzt er auf Gott!
Wie behandelt nun Gott diese zwei Menschen? Sehr verschieden! „Ich sage euch“, so spricht Jesus Christus, „der Zöllner ging gerechtfertigt nach Hause“, im Gegensatz zu dem Pharisäer (Lk 18,14). […] Jesus Christus selbst legt am Schluss des Gleichnisses das Grundgesetz fest, welches unsere Beziehungen zu Gott regelt, und schält die wesentliche Lehre heraus, die wir daraus lernen sollen: „Wer sich erhöht, wird erniedrigt, wer sich erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk 18,14). Daraus ersehen wir, bis zu welchem Punkte der Hochmut der Vereinigung der Seele mit Gott hindernd im Wege steht […] Wie Gott der Ursprung aller Gnaden ist, so ist der Hochmut die schrecklichste aller Gefahren für die Seele, während umgekehrt es keinen sicheren Weg gibt, um zur Heiligkeit zu gelangen und Gott zu finden als die Demut.