Geistliche Kindschaft, die in einer sorgsam bewahrten Armut besteht, war auch für Nikodemus, diesen angesehenen Mann unter den Juden, durchaus erreichbar. Er konnte sie sich zu eigen machen, ohne dabei auf etwas verzichten zu müssen, was sein Rang und die Ausübung seines Amtes erforderten, und ohne ein kindisches Verhalten oder eine kindische Sprache annehmen zu müssen […].
Er musste sich diese geistliche Kindschaft zu eigen machen, denn um wiedergeboren zu werden aus dem Geist, muss man arm, vertrauensvoll und in allem von Gott abhängig sein. Oder besser gesagt: Wiedergeboren zu werden bedeutet nichts anderes als immer mehr zum Kind zu werden.
Während sich nämlich in der natürlichen Ordnung das Kind, das im Schoß der Mutter empfangen wurde, in fortschreitender Trennung von ihr entfaltet, bis es schließlich in der Lage ist, ganz eigenständig leben zu können, vollzieht sich die geistliche Entwicklung genau umgekehrt, nämlich durch fortschreitende Vereinigung. Zunächst von Gott getrennt durch die Sünde, werden wir erleuchtet durch sein Licht und immer mehr umfangen von den Banden seiner Liebe, bis wir zu wahren Kindern geworden sind, die ganz geborgen in seinem Schoß nur noch aus seinem Leben und aus seinem Geist leben.
„Alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes“ (vgl. Röm 8,14), das heißt alle, die durch geistliche Armut und die Loslösung von sich selbst ihr eigenes Wirken verloren und in den Schoß Gottes eingetreten sind, wo ihr Leben und ihre Bewegungen in allem vom Heiligen Geist abhängig sind, der sie hervorbringt. Hierin bestehen Sinn und Wert der geistlichen Kindschaft. Vollkommen verwirklicht ist sie bereits Heiligkeit.