Die heilige Kirche weiß die Kraft ihrer Disziplin zu wahren, indem sie sie mit Milde mäßigt; zuweilen verschont sie die Bösen nicht, indem sie sie zu verschonen scheint; zuweilen geschieht es umgekehrt, dass sie sie verschont, indem sie sie nicht zu verschonen scheint. Aber wir werden dies besser an konkreten Geschehnissen aus dem gewöhnlichen Leben zeigen können.
Stellen wir uns also zwei verirrte Geister, die zur Kirche gehören, vor die Augen unserer Seele: auf der einen Seite einen mächtigen, dreisten und auf der anderen einen sanftmütigen, untergeordneten Menschen. Wenn in diesem sanftmütigen, untergeordneten Menschen eine Sünde still und heimlich ihr Unwesen treibt, dann ist der Prediger zur Stelle: Er warnt, er ermahnt, er tadelt diese Sünde, und indem er den Sünder tadelt, befreit er ihn von der Sünde, er führt ihn wieder auf den rechten Weg zurück. […]
Wenn man dagegen erfährt, dass jener mächtige, dreiste Mensch ein Vergehen begangen hat, dann sucht man vergebens nach der Stunde, in der die Warnung gegen das Böse, das er begangen hat, ausgesprochen wurde. Wenn der Prediger nämlich die günstige Gelegenheit nicht abzuwarten weiß, vermehrt er im anderen das Böse, das er angreift. Es passiert tatsächlich oft, dass solch ein Mensch nicht einmal in der Lage ist, das mahnende Wort anzuhören. Ist es also angesichts seines Verschuldens nicht die Pflicht des Predigers, unter seinen Ermahnungen zum Heil aller seiner Zuhörer auch solche Fehler zu erwähnen, die den Vergehen jenes Menschen gleichen, um den es hier geht, und der noch nicht fähig ist, eine persönliche Kritik anzunehmen, will man nicht alles noch schlimmer machen? Wenn aber die gegen den Fehler gerichtete Anklage allgemein gehalten bleibt, dann dringt das Wort des Tadels reibungslos in seine Seele ein, weil dieser mächtige und irregeleitete Geist nicht gleich merkt, dass dieses Wort speziell an ihn gerichtet ist. Was hat der Prediger also mit ihm gemacht? Er hat ihn nicht verschont, indem er ihn verschont hat, er hat keine Worte des Tadels gegen seine Person ausgesprochen, und dennoch hat er durch seine allgemeine Ermahnung die Wunde berührt.