Wer immer durch die Liebe zum göttlichen Bild und Gleichnis gelangt ist, erfreut sich von da an am Guten, weil er selbst daran Gefallen findet. Er umfasst mit gleicher Liebe Geduld und Sanftmut. Die Verfehlungen der Sünder erregen nicht mehr seinen Zorn, er fleht vielmehr um Verzeihung für sie wegen des großen Erbarmens und Mitgefühls, das er mit ihrer Schwachheit empfindet.
Erinnert er sich etwa nicht, den Stachel ähnlicher Leidenschaften selbst verspürt zu haben, bis es der Barmherzigkeit des Herrn gefiel, ihn davon zu befreien? Nicht seine eigenen Anstrengungen waren es, die ihn vor der Aufdringlichkeit des Fleisches bewahrt haben, sondern der Schutz Gottes. Seitdem versteht er, dass man nicht Zorn, sondern Mitleid haben soll mit denen, die vom rechten Weg abkommen. Und in völliger Herzensruhe singt er Gott diesen Vers: „Zerrissen hast du meine Fesseln, ein Opfer des Lobes will ich dir darbringen“ (vgl. Ps 116(115),16–17), und weiter: „Wenn der Herr mir nicht geholfen hätte, hätte bald meine Seele sich in der Unterwelt niedergelassen“ (Ps 93(94),17 LXX).
Dann befähigt ihn diese Demut des Geistes, das evangelische Gebot der Vollkommenheit zu erfüllen: „Liebt eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, die euch verfolgen“ (vgl. Mt 5,44). Dadurch verdienen wir es, den Lohn zu empfangen, von dem gleich darauf die Rede ist, nämlich nicht nur das göttliche Bild und Gleichnis zu tragen, sondern sogar den Sohnestitel zu erhalten: „damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45).