Hl. Eucherius

Können wir nicht mit Fug und Recht sagen, dass die Wüste der grenzenlose Tempel Gottes ist? Denn wer in der Stille wohnt, der muss sich doch gewiss an abgelegenen Orten erfreuen. Dort hat sich Gott oft seinen Heiligen offenbart; im Schutze der Einsamkeit hat er sich herabgelassen, den Menschen zu begegnen.

In der Wüste schaut Mose mit lichtdurchflutetem Gesicht Gott. […] Dort wird ihm gestattet, vertraut mit dem Herrn zu reden; er hält Zwiesprache mit ihm; er unterhält sich mit dem Herrn des Himmels auf eine Weise, wie Menschen sich mit ihresgleichen zu unterhalten pflegen. In der Wüste empfängt er den Stab, der Wunder bewirkt. Und er, der als Schafhirte in die Wüste gekommen war, verlässt sie als Hirte von Völkern (vgl. Ex 3; 33,11; 34).

Ebenso ergeht es dem Volk Gottes, als es aus Ägypten befreit und von der Fronarbeit erlöst werden sollte: Sucht es nicht abgelegene Orte auf, flüchtet es sich nicht in die Einöde? Ja, in der Wüste nähert es sich diesem Gott, der es der Sklaverei entrissen hat. […] Und der Herr machte sich zum Anführer seines Volkes, indem er es durch die Wüste leitete. Unterwegs, bei Tag und bei Nacht, richtete er Zeichen vom Himmel auf: eine leuchtende Wolkensäule oder eine glühende Feuersäule. Den Kindern Israels wurde also gewährt, den Thron Gottes zu sehen und seine Stimme zu hören, während sie in der Einsamkeit der Wüste lebten. […]

Muss ich noch hinzufügen, dass sie erst nach ihrem Aufenthalt in der Wüste in das Land ihrer Sehnsucht kamen? Um jemals in den Besitz eines Landes zu gelangen, in dem Milch und Honig fließen, musste das Volk zunächst durch dürres Ödland ziehen. Der Weg zum wahren Vaterland führt immer durch die Wüste. Wer „die Güte des Herrn im Land der Lebenden“ (Ps 27(26),13) schauen will, der lasse sich in unbewohnbarem Land nieder. Wer ein Bürger des Himmels werden will, der sei Gast in der Wüste.

Quelle: Evangelizo

Zuletzt geändert: 6 September 2023