Kardinal Karol Wojtyla

Das Gebet Christi in Getsemani ist die Begegnung des menschlichen Willens Jesu Christi mit dem ewigen göttlichen Willen. […] Der Sohn wurde Mensch, damit diese Begegnung seines menschlichen Willens mit dem Willen des Vaters stattfinden konnte. Er wurde Mensch, damit diese Begegnung ganz erfüllt sei von der Wahrheit über den menschlichen Willen und das menschliche Herz, jenes Herz, welches das Böse, das Leiden, das Gericht, die Geißelung, die Dornenkrone, das Kreuz und den Tod ablehnt und aus der Welt schaffen will.

Er wurde Mensch, damit auf diesem Hintergrund der Wahrheit über den menschlichen Willen und das menschliche Herz die ganze Größe der Liebe offenbar werde, die sich in Selbsthingabe und Opfer ausdrückt: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab“ (Joh 3,16). In jener Stunde, da Christus betet, muss sich die ewige Liebe durch das Opfer des menschlichen Herzens bestätigen. Und sie bestätigt sich: Der Sohn verweigert seinem Herzen nicht, der Altar, der Ort der Elevation [Erhebung, Erhöhung] zu werden, noch bevor das Kreuz es sein wird. […]

Das Gebet Jesu ist also die Begegnung des menschlichen Willens mit dem Willen Gottes. Seine vorrangige Frucht ist der Gehorsam des Sohnes gegenüber dem Vater: „Dein Wille geschehe“. Gehorsam bedeutet jedoch nicht in erster Linie den Verzicht auf den eigenen Willen, sondern eine wirkliche Öffnung des geistlichen Blicks, des geistlichen Gehörs auf jene Liebe hin, die Gott selbst ist. Ja, diese Liebe ist Gott (vgl. 1 Joh 4,16), der die Welt so sehr geliebt hat, dass er ihr seinen einzigen Sohn gab. Das also ist der Mensch, das ist Jesus Christus, der Sohn Gottes! – Nach seinem Gebet in Getsemani erhebt er sich, gestärkt durch diesen Gehorsam, durch den er sich erneut mit dieser Liebe, diesem Geschenk des Vaters an die Welt und an alle Menschen, vereinigt hat.

Quelle: Evangelizo

Zuletzt geändert: 12 September 2023