Mehr an den Nächsten und dessen Interessen, an dessen Befriedigung und Freude denken, als an sich selbst, das ist das sicherste Zeichen wahrer Liebe; denn das zu tun, und zwar nicht nur nicht einmal, sondern zehnmal, ja immer und überall und gegen alle ohne Unterschied, das heißt wahrhaft Gott lieben.
Eine solche Nächstenliebe verlangt zu viel große Selbstverleugnung, als dass sie nur auf eigene Kraft gestützt bestehen könnte. Das kann nur Liebe, die aus Gott geboren ist. Darum bezeichnet auch der Heiland selbst die Nächstenliebe als offenkundiges Zeichen der Gegenwart Gottes in einer Seele. […]
Was ist in der Tat die Nächstenliebe eigentlich? Sie ist Liebe zu Gott, die zugleich mit Gott alles in Liebe umfängt, was mit Gott vereinigt ist, die allerheiligste Menschheit Jesu Christi und in Christo alle Glieder seines mystischen Leibes! Christus ist es, der da trauert in den Trauernden, der krank ist in den Kranken, niedergedrückt in den Betrübten. Hat nicht die ewige Weisheit selbst dieses gesagt? „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). „Bei der Menschwerdung hat der Heiland alle unsere Schwächen auf sich genommen“ (vgl. Jes 53,4). Wenn wir sie darum den Nächsten erleichtern, ist es der Heiland selbst, der diese Erleichterung von uns annimmt. […]
Befleißigen wir uns, den Heiland selbst in jedem unserer Brüder zu sehen, und wir werden ihm gewiss bereitwilligst zu Diensten sein. […] [Wenn wir diese Ansicht des Glaubens haben] wäre unsere Liebe immer hingebend, eifrig und selbstlos. Wir würden uns nicht beklagen, wenn wir so oft uns selbst der anderen wegen vergessen müssen.