„Ich weiß, dass ihr Kinder Abrahams seid“ (vgl. Joh 8,37). […] Man könnte noch eine andere, auf dem griechischen Text basierende, Übersetzung geben: „Ich weiß, dass ihr aus dem Geschlecht“ oder wörtlich: „aus dem Samen Abrahams seid.“ Um diese Übersetzung zu verdeutlichen, betrachten wir zunächst den Unterschied zwischen dem Samen, der zur Bildung des Körpers bestimmt ist, und dem Kind.
Es ist offensichtlich, dass der Same alle grundlegenden Merkmale desjenigen, dessen Same er ist, in sich trägt, auch wenn sie sich noch im Zustand der Untätigkeit und Ruhe befinden. Aber nach der Umwandlung dieses Samens und seiner besonderen Wirkkraft auf die Materie, die ihm durch die Frau dargeboten wird, nimmt das Kind mit Hilfe der Nahrung, die es erhält, die Gestalt dessen an, der es gezeugt hat. Was den Körper betrifft, so entsteht jedes Kind notwendigerweise aus einem Samen, aber nicht aus jedem Samen wird ein Kind. […] Derjenige, der Abrahams Same ist, muss auch sein Sohn werden, indem er ihm ähnlich wird. Nun kann es aber geschehen, dass er durch seine Nachlässigkeit oder Trägheit diesen kostbaren Samen in sich zerstört. Was diejenigen betrifft, zu denen unser Herr sprach, so war noch nicht alle Hoffnung zunichte, denn Jesus wusste, dass sie immer noch Abrahams Same waren und die Macht, Kinder Abrahams zu werden, noch nicht verloren hatten. Deshalb sagt er zu ihnen: „Wenn ihr Kinder Abrahams wärt, würdet ihr die Werke Abrahams tun.“ Hätten sie diesen kostbaren Samen bis zu seiner vollkommenen Entfaltung wachsen lassen wollen, dann hätten sie das Wort Jesu verstanden. […] Manche beschränken sich auf ein einziges der Werke Abrahams, was der Apostel mit diesen Worten hervorhebt: „Abraham glaubte Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet“ (Jak 2,23). Wenn aber, wie sie behaupten, der Glaube das einzige notwendige Werk wäre, warum hat ihnen der Heiland dann nicht im Singular gesagt: „Tut das Werk Abrahams“ sondern im Plural: „Tut die Werke Abrahams“? Diese Worte sind gleichbedeutend mit: Tut alle Werke Abrahams, wobei jedoch Abrahams Leben im allegorischen Sinn und seine Handlungen im geistlichen Sinn zu verstehen sind. Derjenige, der ein Sohn Abrahams werden will, soll nämlich keineswegs nach dem Beispiel Abrahams seine Mägde zu Frauen nehmen oder nach dem Tod seiner Frau noch in seinem Alter eine andere heiraten.