„Die Erbarmungen des Herrn will ich ewig besingen“ (Ps 88(89),2). In diesen österlichen Worten der Kirche klingen – in der Fülle ihres prophetischen Gehaltes – die Worte Marias nach, die sie bei der Begegnung mit Elisabet, der Frau des Zacharias, gesprochen hatte: „Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht“.
Sie eröffnen schon beim Morgenrot der Menschwerdung eine neue Perspektive der Heilsgeschichte. Nach der Auferstehung Christi wird diese Perspektive – geschichtlich und endzeitlich gesehen – neu lebendig. Seither lösen in immer größeren Dimensionen immer neue Geschlechter der riesigen Menschheitsfamilie einander ab; und auch im Volk Gottes folgen einander neue Geschlechter, welche die Male des Kreuzes und der Auferstehung tragen, […] des Paschageheimnisses Christi, der absoluten Offenbarung jenes Erbarmens, das Maria auf der Schwelle des Hauses ihrer Verwandten pries. […]
Die Mutter des Gekreuzigten […], Maria also kennt am tiefsten das Geheimnis des göttlichen Erbarmens. Sie kennt seinen Preis und weiß, wie hoch er ist. In diesem Sinn nennen wir sie auch Mutter der Barmherzigkeit, […] denn Maria besaß die besondere Fähigkeit […], in den verworrenen Ereignissen der Geschichte Israels und dann des Menschen und der ganzen Menschheit jenes Erbarmen wahrzunehmen, das uns nach dem ewigen Plan der heiligsten Dreifaltigkeit „von Geschlecht zu Geschlecht“ geschenkt wird. […]
Die Mutter des Gekreuzigten und Auferstandenen […], nachdem sie in außergewöhnlicher Weise das Erbarmen erfahren hatte, ist sie in gleicher Weise „erbarmenswürdig“ geworden – während ihres ganzen irdischen Lebens und vor allem unter dem Kreuz ihres Sohnes; und sie wurde schließlich durch die verborgene und zugleich einzigartige Teilnahme an der messianischen Aufgabe ihres Sohnes ganz besonders dazu berufen, den Menschen die Liebe nahezubringen, die zu offenbaren er gekommen war und die am konkretesten den Leidenden, den Armen, den Unfreien, den Blinden, den Unterdrückten und den Sündern gegenüber sichtbar wird – wie sie Jesus […] beschrieben hat (vgl. Lk 4,18; 7,22).