Liebster Vater, vielleicht sagen Sie: Ich liebe die Nächstenliebe sehr, aber wie kann ich wissen, ob ich sie habe? Darauf möchte ich Ihnen antworten: Wenn die Seele die Bedingungen, die wir der Nächstenliebe zuerkennen, in sich vorfindet. Diese lassen sich in zwei Hauptbedingungen zusammenfassen: zunächst in der echten und heiligen Geduld, die alle Beleidigungen, ob klein oder groß, von welcher Seite sie auch kommen mögen, erträgt, und zwar mit einem ruhigen, friedlichen Geist.
Sodann in dem Eifer, die Bedürfnisse des Nächsten so weit wie möglich zu lindern. Also besteht die erste Bedingung der Nächstenliebe darin, Beleidigungen zu ertragen, und die zweite darin, zu geben. Und was soll man geben? Die Zuwendung der Liebe, indem man den Nächsten liebt wie sich selbst und den Geschöpfen beisteht, je nachdem, wie Gott einen mit Gnaden, mit geistlichen und zeitlichen Gütern ausstattet: Die Seele ist dann bereit, das Wort Gottes aufzunehmen und zu verkosten; und sie bemüht sich, es zu befolgen bis zum Tod. Es gibt noch viele andere Zeichen der Nächstenliebe, aber ich will mich nicht zu sehr ausbreiten, sondern nur von den beiden wichtigsten sprechen. O wie glücklich ist die Seele, die an der Brust einer so sanften Mutter genährt wird! Sie ist demütig, sie ist gehorsam, und sie möchte lieber sterben, als dem gekreuzigten Jesus nicht untertan zu sein.