Wer aus ganzem Herzen und ohne Verstellung so sehr Herr seiner selbst ist, dass er nichts anderes sucht, als verachtet zu werden, bedeutungslos zu sein und in Erniedrigung zu leben, der scheint mir die höchste Stufe erklommen zu haben. […] Solange ihr nicht so weit gekommen seid, solltet ihr denken, dass ihr nichts getan habt.
Da wir alle, selbst wenn wir alles gut machen würden, nach dem Wort des Herrn tatsächlich nur „unnütze Sklaven“ (Lk 17,10) sind, werden wir, solange wir diesen Grad der Erniedrigung nicht erreicht haben, auch noch nicht in der Wahrheit sein und wandeln, sondern in der Eitelkeit. […]
Du weißt auch, dass unser Herr Jesus zuerst mit dem Tun begann, bevor er lehrte. Später sollte er sagen: „Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen“ (Mt 11,29 Vulg.). Und das wollte er zuerst in der Tat und ohne Verstellung verwirklichen. Er hat es aus ganzem Herzen getan, so wie er auch aus ganzem Herzen und in Wahrheit demütig und sanftmütig war. In ihm war keine Falschheit (vgl. 2 Kor 1,19). Er versenkte sich so tief in Demut, Entäußerung und Erniedrigung, ja, er erniedrigte sich in den Augen aller so sehr, dass man ihn, als er anfing zu predigen, das Reich Gottes zu verkünden und Wunder zu wirken, nicht schätzte, sondern verachtete und verspottete mit diesen und ähnlichen Worten: „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns?“ So bewahrheitet sich das Wort des Apostels Paulus: „Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave“ (Phil 2,7), und zwar nicht nur – durch die Menschwerdung – wie ein normaler Sklave, sondern – durch sein demütiges und verachtetes Leben – wie ein irgendein dahergelaufener Sklave.