Die Gottesliebe lässt sich nicht lehren. Niemand hat uns gelehrt, uns am Licht zu erfreuen noch das Leben über alles zu schätzen; auch hat uns niemand gelehrt, die zu lieben, die uns auf die Welt gebracht und aufgezogen haben. Ebenso, oder vielmehr mehr erst recht, ist es keine äußere Lehre, die uns beibringt, Gott zu lieben.
In die Natur des lebendigen Wesens selbst – ich meine des Menschen – ist so etwas wie ein Keim hineingelegt, der die Fähigkeit zu lieben in sich trägt. In der Schule der Gebote Gottes gilt es nun, diesen Keim anzunehmen, eifrig zu pflegen, ihn sorgfältig zu nähren und durch die göttliche Gnade zur Entfaltung zu bringen. Soweit der Heilige Geist uns dazu die Gnade gibt, bemühen wir uns, mit der Hilfe Gottes und eurer Gebete, den Funken der göttlichen Liebe, der in euch verborgen ist, zu entfachen. […] Wenn wir diese Kräfte treu und recht gebrauchen, leben wir heiligmäßig in der Tugend. Wenn wir sie jedoch zweckentfremden, werden wir zum Bösen hingerissen. Das ist nämlich die Definition des Lasters: der missbräuchliche und den Geboten Gottes widersprechende Gebrauch unserer Fähigkeiten, die Gott uns zum Guten gegeben hat. Folgerichtig ist die Definition der Tugend, die Gott von uns verlangt: der gewissenhafte und den Geboten des Herrn entsprechende Gebrauch dieser Fähigkeiten. Dasselbe gilt für die Liebe. Als wir von Gott das Liebesgebot empfingen, da besaßen wir schon, von Anfang an, die natürliche Fähigkeit zu lieben.