Der heutige Besuch will einen entschiedenen Beitrag leisten zur Festigung der guten Beziehungen zwischen unseren beiden Gemeinschaften […] Wir sind uns alle bewusst, dass aus dem reichen Inhalt dieser Nr. 4 der Erklärung Nostra aetate drei Punkte besonders wichtig sind. […] Der erste Punkt ist der, dass die Kirche Christi ihre „Bindung“ zum Judentum entdeckt, indem sie sich auf ihr eigenes Geheimnis besinnt (vgl. Nostra aetate, Nr. 4, Absatz 1). Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas „Äußerliches“, sondern gehört in gewisser Weise zum „Inneren“ unserer Religion. Zu ihr haben wir somit Beziehungen wie zu keiner anderen Religion. Ihr seid unsere bevorzugten Brüder und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder. […] Ferner muss gesagt werden, dass der eingeschlagene Weg noch an den Anfängen steht. Deshalb bedarf es […] noch ziemlich viel, um jede – auch die subtile – Form des Vorurteils zu überwinden […] und somit […] das wahre Antlitz der Juden und des Judaismus wie auch der Christen und des Christentums zu zeigen […] Niemandem entgeht, dass der anfängliche grundsätzliche Unterschied in der Zustimmung der Katholiken zur Person und zur Lehre Jesu von Nazaret besteht, der ein Sohn eures Volkes ist, aus dem auch die Jungfrau Maria, die Apostel – Fundament und Säulen der Kirche – und die Mehrzahl der Gläubigen der ersten christlichen Gemeinde stammen. […] Ferner muss gesagt werden, dass die Wege, die für unsere Zusammenarbeit offenstehen im Licht des vom Gesetz und von den Propheten stammenden gemeinsamen Erbes, vielfältig und bedeutend sind. Wir möchten vor allem erinnern an die Zusammenarbeit zum Wohl des Menschen […], zugunsten seiner Würde, seiner Freiheit, seiner Rechte, seiner Entfaltung in einer Gesellschaft […], wo die Gerechtigkeit regiert und wo […] der Friede herrscht, der shalom, der von den Gesetzgebern, von den Propheten und von den Weisen Israels herbeigesehnt worden ist. […] Möge von diesem meinen Besuch und von unserer gefundenen Eintracht und gelösten Atmosphäre wie aus dem Strom, den Ezechiel von der östlichen Pforte des Tempels in Jerusalem hervorbrechen sah (vgl. Ez 47,1ff.), eine frische und wohltuende Quelle entspringen, die die vielen Wunden zu heilen hilft, an denen Rom leidet. Wenn wir das tun, so erlaube ich mir zu sagen, werden wir unseren jeweiligen heiligsten Verpflichtungen treu sein, aber auch jener, die uns am tiefsten verbindet und eint: der Glaube an den einen Gott, der „die Fremden liebt“ und „den Waisen und Witwen ihr Recht verschafft“ (vgl. Dtn 10,18), indem auch wir uns bemühen, sie zu lieben und ihnen beizustehen (vgl. ebd. und Lev 19,18.34). Die Christen haben diesen Willen des Herrn von der Torah gelernt, die ihr hier verehrt, und von den Worten Jesu, der die Liebe, die die Torah fordert, bis in die äußersten Konsequenzen verwirklicht hat.