Montag, 7 Juni 2021 : Kommentar Hl. Gregor von Nyssa

Wenn Gott allein selig ist, wie der Apostel Paulus sagt (vgl. 1 Tim 1,11; 6,15); wenn die Menschen Anteil haben an seiner Seligkeit aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit ihm; wenn es ihnen aber unmöglich ist, ihn nachzuahmen, dann ist die Seligkeit für die menschliche Beschaffenheit unerreichbar. Aber in gewisser Weise ist es dem Menschen doch möglich, Gott nachzuahmen. Wie? „Armut im Geist“ scheint mir Demut zu bedeuten. Der Apostel Paulus gibt uns ein Beispiel der Armut Gottes: „Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen“ (2 Kor 8,9). Alles, was wir von der göttlichen Natur wahrnehmen können, übersteigt die Grenzen unserer Beschaffenheit, aber Demut ist uns möglich. Wir teilen sie mit allen, die auf der Erde leben, die aus dem Ackerboden gebildet sind und zu ihm zurückkehren (vgl. Gen 2,7; 3,19). Wenn du also Gott in dem nachahmst, was deiner Natur entspricht und deine Mittel nicht übersteigt, ziehst du die selige Gestalt Gottes wie ein Gewand an. Niemand soll sich einbilden, es sei leicht, Demut zu erlangen. Im Gegenteil, sie zu erwerben ist schwieriger als das Erwerben jeder anderen Tugend. Warum? Weil in der Stunde, als der Mensch, der den guten Samen gesät hatte, sich ausruhte, der Feind den größten Teil der Aussaat säte: das Unkraut des Stolzes, das in uns Wurzel geschlagen hat (vgl. Mt 13,25). […] Da fast alle Menschen von Natur aus zum Stolz neigen, beginnt der Herr die Seligpreisungen, indem er das Grundübel des Stolzes zurückweist und dazu rät, den wahren, freiwillig Armen nachzuahmen, der in Wahrheit selig ist, damit wir uns ihm nach Kräften durch freiwillige Armut angleichen, um so auch an seiner eigenen Seligkeit teilzuhaben. Der heilige Paulus schreibt: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave“ (Phil 2,5–7).

Zuletzt geändert: 7 June 2021