Montag, 27 Dezember 2021 : Kommentar Rupert von Deutz

Entsprechend der Gnade, die bewirkte, dass Jesus ihn liebte und ihn beim letzten Abendmahl an seiner Brust ruhen ließ (vgl. Joh 13,23), empfing Johannes in hohem Maße Einsicht und Weisheit [die Gaben des Geistes] (vgl. Jes 11,2): Einsicht, um die Schriften zu verstehen, und Weisheit, um mit bewundernswerter Kunst die eigenen Schriften zu verfassen. Er hat – um genau zu sein – diese Gabe nicht von dem Moment an empfangen, als er an der Brust Jesu ruhte, auch wenn er später aus diesem Herzen, „in dem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind“ (vgl. Kol 2,3) schöpfen konnte. Wenn er sagt, dass er beim Betreten des Grabes „sah und glaubte“, gibt er auch gleich zu, dass sie „noch nicht aus der Schrift wussten, dass er von den Toten auferstehen musste“ (vgl. Joh 20,8–9). Wie die anderen Apostel erhielt auch Johannes sein volles Maß erst, als [an Pfingsten] der Heilige Geist kam und ein jeder die Gnade in dem Maß empfing, „wie Christus sie ihm geschenkt hat“ (Eph 4,7). […] Jesus, der Herr, liebte diesen Jünger mehr als die anderen […], und er offenbarte ihm die Geheimnisse des Himmels […], damit er das tiefe Mysterium in Worte fasse, über das der Mensch von sich aus nichts sagen kann: das Geheimnis des Wortes, des Wort Gottes, des fleischgewordenen Wortes. Das ist die Frucht dieser Liebe. Aber wenngleich er ihn liebte, sagte Jesus nicht zu ihm: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ (Mt 16,18). […] Während unser Herr alle seine Jünger und vor allem Petrus mit einer Liebe des Geistes und der Seele liebte, liebte er Johannes mit einer Liebe des Herzens. […] In der Ordnung des Apostolats erhielt Simon Petrus den ersten Platz und „die Schlüssel des Himmelreichs“ (Mt 16,19); Johannes hingegen fiel ein anderes Erbe zu: der Geist der Einsicht, ein Schatz des „Jubels und der Freude“ (vgl. Sir 15,6).

Zuletzt geändert: 27 December 2021