Eine Frau, die des Ehebruchs überführt worden war, wurde von den Schriftgelehrten und den Pharisäern zum Herrn Jesus gebracht. Und sie formulierten ihre Anklage als tückische Falle, so dass Jesus, wenn er die Frau freisprechen würde, als Gesetzesübertreter dastünde, wenn er sie jedoch verurteilen würde, es den Anschein hätte, als habe er den Grund seines Kommens geändert, denn er war doch gekommen, um die Sünden aller zu vergeben.
[…]
Während sie redeten, schrieb Jesus gesenkten Hauptes mit seinem Finger auf die Erde. Da sie auf Antwort warteten, hob er den Kopf und sagte: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie“. Gibt es etwas Göttlicheres als dieses Urteil: Derjenige, der ohne Sünde ist, möge die Sünde bestrafen? Denn wie könnte man es auch ertragen, dass ein Mensch die Sünde eines anderen verurteilt, derweil er seine eigene Sünde entschuldigt? Verurteilt dieser nicht vielmehr sich selbst, wenn er bei einem anderen verurteilt, was er selbst tut?
Jesus sprach so und schrieb auf die Erde. Warum? Es ist, als würde er sagen: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“ (Lk 6,41). Er schrieb auf die Erde mit dem Finger, mit dem er das Gesetz geschrieben hatte (vgl. Ex 31,18). Die Sünder sind auf der Erde verzeichnet und die Gerechten im Himmel, wie Jesus zu den Jüngern sagte: „Freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind“ (Lk 10,20).
Als die Pharisäer Jesus so sprechen hörten, „ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten“. […] Der Evangelist hat Recht, wenn er sagt, dass sie fortgingen, die nicht mit Christus sein wollten. Was äußerlich am Tempel ist, ist der Buchstabe; in seinem Inneren sind die Geheimnisse. Denn was sie in den göttlichen Lehren suchten, waren die Blätter, nicht aber die Früchte der Bäume; sie lebten im Schatten des Gesetzes und konnten die Sonne der Gerechtigkeit nicht sehen (vgl. Mal 3, 20).